Aber schon ein kurzer Blick in die Bücher offenbarte mir eine ganz andere Annäherung an den Hedonismusbegriff. Bei David Baumgardt zum Beispiel wird die Sache gleich sehr fundamental, wenn er in seinen Ausführungen zur Ethik den Hedonismus als Alternative zwischen Machtmoral und Masochismus anlegt. Für Baumgardt hatte Hedonismus nichts mit einer "vulgären Lustmoral" zu tun. Es ging ihm um den Begriff des "kritischen Hedonismus", um die "Widerlegung des Rechtes auf Gewalt im Rahmen einer skrupellosen Machtmoral."
Baumgarts Arbeit aus den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verband anglo-amerikanischen Pragmatismus mit traditionell-metaphysischer Sinnsuche. Er sah eine anti-hedonistische Kritik, also eine lustfeindliche Opposition gegen die Machtmoral als verfehlt an: "Denn die Machtmoral ist keineswegs bereits in sich und ihrem Gehalt nach brüchig und unhaltbar. Vorurteilslos erwogen stellt sie vielmehr ein ebenso homogenes oder sogar dogmatisches System der Ethik dar, wie dasjenige ihrer erbittertsten Gegner; und am allerwenigsten lässt es sich durch einen Anti-Hedonismus aus dem Felde schlagen. Der konsequent zu Ende gedachte Hedonismus kann die einzige Handhabe zur Überwindung der Machtmoral bieten, während alle anderen die Herrenmoral negierenden Moralanschauungen ihre Opposition nur auf schwankendem Boden aufbauen können und in einer Sprache und mit Argumenten zu führen imstande sind, die vom Gegner mit Recht als unkritisch, als dogmatisch und blind für die Stärke seiner eigenen Überzeugungen abgetan werden können. (...) Denn, (es) setzen all die zahlreichen antihedonistischen Moraltheorien, die auf dem `Naturrecht´ auf dem Urteil des `gesunden Menschenverstandes´ oder auf `Wertwesenheiten´ aufbauen, angeblich unbestreitbar geltende Werte als unmittelbar gegeben voraus. (...) Denn alle diese Formen der Ethik setzen bereits diejenigen Geltungen unbezweifelt voraus, die allein eine vorurteilslose Ethik erst auf ihre Verbindlichkeit zu prüfen hat. (...) Der Hedonismus besteht zunächst einzig darauf, dass bei näherer Analyse es sich rein faktisch als unwiderlegbar erweist, dass der Mensch (...) die intensivere und länger anhaltende Lust der entsprechenden Unlust vorzuziehen berechtigt ist."
(aus David Baumgardt, Jenseits von Machtmoral und Masochismus - Hedonistische Ethik als kritische Alternative, Meisenheim am Clan, Hain, 1977) zitiert in "Rocktexte schreiben", Ulrich Heinke, 1995